Der Frauenanteil in IKT-Studien ist vergleichsweise gering, in Österreich traditionell unterdurchschnittlich. Gründe dafür gibt es viele, aber auch gute Argumente dagegen.
Dass die Begeisterung und Begabung für MINT-Fächer keine Geschlechterrollen kennen, lehrt die Geschichte. Sowohl in der Programmierung, als auch in der Anwendung, brachten Frauen seit Beginn des IT-Zeitalters moderne technologische Entwicklungen auf die Wege:
Pionierin der Programmierung: Ada Lovelace
Mit 27 Jahren schrieb die britische Mathematikerin Ada Lovelace, eigentlich Augusta Ada Byron King, Countess of Lovelace, den ersten Algorithmus der Welt.
Als Schülerin und Assistentin des britischen Mathematikprofessors Charles Babbage ergänzte sie 1843 die Beschreibung seiner Analytical Engine mit ihren umfangreichen „Notes“ zu Einsatzmöglichkeiten, Rechenbeispielen und Programmen. Ihr Werk war die Basis moderner Programmiersprachen – Lady Ada Lovelace gilt gemeinhin als Begründerin der Informatik und erste Programmiererin der Welt (Männer mitgemeint).
Erfinderin des Compilers: Grace Hopper
Grace Hopper erfand 1952 den ersten Compiler für Programmiersprachen.
Die Mathematikerin und Physikerin arbeitete bei der US Navy am ersten digitalen Computer der Geschichte, dem Mark 1. Sie war wesentlich an der Entwicklung der Programmiersprache COBOL beteiligt, indem sie darauf bestand, diese durch den Einsatz von Sprache anstelle binären Codes benutzerfreundlich zu gestalten. Außerdem machte Hopper den Begriff „debugging“ bekannt, nachdem eine Motte für den Ausfall eines Relais gesorgt hatte.
Wegbereiterin moderner Funktechnik: Hedy Lamarr
Die österreichische Schauspielerin und Erfinderin schaffte es nicht nur bis nach Hollywood: Ihre 1942 patentierte Funkfernsteuerung brachte ihr den Electronic Frontier Foundation Pioneer Award ein und sie posthum in die National Inventors Hall of Fame.
Lamarrs Funkfernsteuerung war durch selbsttätig wechselnde Frequenzen besonders schwierig anzupeilen und dadurch weitgehend störungsfrei. Das sogenannte Frequenzsprungverfahren wird in einer weiterentwickelten Form auch noch in der heutigen Kommunikationstechnologie verwendet, zum Beispiel bei Bluetooth.
Knackten die Enigma-G: Margaret Rock und Mavis Lever
Die britischen Kryptoanalytikerinnen Margaret Rock und Mavis Lever zählten zu den „Frauen in Bletchley Park“, die während des Zweiten Weltkriegs für die geheime britische Dienststelle zur Entschlüsselung von kodierten Nachrichten arbeiteten.
1941 gelang den beiden Frauen ein wichtiger kryptoanalytischer Durchbruch, als sie zum ersten Mal eine vom deutschen Geheimdienst mithilfe des Enigma-G verschlüsselte Meldung dechiffrierten. Im Mai 1943 konnte Margaret Rock außerdem in eine weitere wichtige Funklinie einbrechen. Margaret Rock erhielt für ihre Verdienste im Jahr 1945 den Order of the British Empire.
Die „vergessenen“ ENIAC-Programmiererinnen
Kathleen McNulty, Frances Bilas, Elizabeth Jean Jennings, Frances Elizabeth Snyder, Ruth Lichterman und Marilyn Wescoff waren die (Mädchen-)Namen der sechs Programmierinnen des ENIAC. Der monströse Nachfolger des Mark 1 wurde ausschließlich von Frauen programmiert. Bei der offiziellen Vorstellung des ENIAC 1946 wurden sie allerdings vergessen und nur die beteiligten Männer gewürdigt.
Prestige und entsprechende Bezahlung gab es in der Programmierung erst ab dem Zeitpunkt, als auch Männer in dem Bereich arbeiteten. Die Programmiererinnen des ENIAC verschwanden nach und nach aus den Programmierteams, nachdem sie geheiratet hatten. (Frauen dürfen in Österreich übrigens erst seit 1975 auch ohne Zustimmung ihres Mannes arbeiten.)
Entwicklerin der Apollo-Flugsoftware: Margaret Hamilton
Die US-amerikanische Informatikerin und Mathematikerin Margaret Hamilton arbeitete ab 1965 als Projekt- und später Entwicklungsleiterin beim Apollo-Projekt der NASA. Sie prägte den Begriff „Software Engineering“.
Hamiltons Programmiertechnik ermöglichte 1969 eine sichere Landung der Apollo-11 auf dem Mond. Drei Minuten vor der Landung wurde der Boardcomputer durch einen Hardware-Fehler hart auf die Probe gestellt und stürzte nur dank der stabilen Architektur und integrierter Rettungsprogramme nicht ab: Wichtige Aufgaben wurde von der Software vorgezogen, weniger wichtige konnten unterbrochen werden. Diese Logik rettete die erste Mondlandung.
Pionierarbeit in der biomedizinischen Technik: Thelma Estrin
Die amerikanische Informatikerin und Ingenieurin Thelma Estrin war eine der ersten, die moderne Computertechnologien für die medizinische Arbeit und Forschung einsetzten. Sie entwarf und implementierte in den 1980ern das ersten Analog-Digital-Wandlungssystem, das analoge (EEG) Signale in digitale Signale umwandeln konnte.
Dennoch hatte Thelma Estrin es 1951 schwer, eine entsprechende Arbeitsstelle zu finden. An mangelnden Fähigkeiten lag es nicht, wie die zahlreichen Auszeichnungen, die sie im Laufe ihrer Karriere noch erhalten sollte, zeigen.
Expertin für Programmiersprachen: Jean E. Sammet
Die amerikanische Mathematikerin Jean E. Sammet war ab 1959 wesentlich an der Entwicklung der Programmiersprache COBOL beteiligt, die auch heute noch in etlichen betriebswirtschaftlichen Anwendungen genutzt wird. Ab 1961 leitet sie im Forschungszentrum von IBM Entwicklungsgruppen für Programmiersprachen und später für Softwaretechnik.
Ihr 1969 erschienenes Buch „Programmiersprachen: Geschichte und Grundlagen“ wurde rasch zum Standardwerk und Klassiker. Von 1974 bis 1976 war Jean E. Sammet Präsidentin der Association for Computing Machinery (ACM), dem größten und ältesten Informatikfachverband der Welt, und entwarf das Konzept zum Computeralgebrasystem FORMAC (Formula Manipulation Compiler).
Gegenwärtige Role Models in der IT
Die promovierte Theaterwissenschaftlerin Brenda Laurel arbeitete als Programmiererin, Interface-Designerin, Software-Entwicklerin und Beraterin in der Gaming-Branche. 1996 gründete sie die Firma Purple Moon und entwickelte ein gleichnamiges Computerspiel, das dank echter Handlung und entwicklungsfähiger Charaktere auch die weibliche Zielgruppe ansprach. 1993 realisierte Brenda Laurel außerdem mit ihrer Kollegin Rachel Strickland das Virtual Reality-Projekt „Placeholder“.
Die kanadische Informatikerin Jade Raymond produzierte 2007 bzw. 2017 die Videospiele Assassin’s Creed und Star Wars. Als Frau mit Führungsposition in der „Männerdomäne“ war sie mit steigendem Erfolg massiven sexistischen Angriffen ausgesetzt. Seit 2019 ist sie für die Produktion und kreative Leitung Googles Cloud-Gaming-Dienst Stadia zuständig.
Die amerikanische Informatikerin Marissa Mayer startete 1999 bei Google und schaffte es dort bis zum Vice President. Von 2012 bis 2017 war sie CEO und President von Yahoo. Besondere mediale Aufmerksamkeit erhielt dabei Mayers anstehende Mutterschaft. 2016 vereinbarte Mayer den Verkauf des Webgeschäfts von Yahoo an Verizon Communications und verließ danach das Unternehmen.
Die österreichische Informatikerin Ivona Brandic ist die meistzitierte europäische Wissenschaftlerin im Bereich der Cloud Computing Systeme. Sie beschäftigt sich mit Laufzeitoptimierungen der ultra-scale Systeme. Seit 2016 ist sie Universitätsprofessorin für High Performance Computing Systems an der TU Wien, im selben Jahr wurde sie in die Österreichische Akademie der Wissenschaften aufgenommen.
Die Liste ließe sich noch erweitern, aber dennoch: Das Fehlen weiblicher Role Models wird als einer der Gründe genannt, warum auch heute noch deutlich weniger Frauen als Männer in IT-Studien und entsprechenden beruflichen Positionen zu finden sind. Dabei gibt es diese Vorbilder seit jeher, sie müssen nur sichtbar gemacht werden – vor allem auch von Männern.